Nach Massenschlägerei in Lübeck Warum will die Polizei nicht, dass wir dieses Prügel-Video sehen? Wer es hat, soll es löschen

Von: Thomas Knoop, Nadja Aswad und Nikolaus Harbusch

17.09.2023 - 21:13 Uhr

Quelle: Privat 18.09.2023

Es sind unfassbare Szenen, die sich auf einer der Haupteinkaufsstraßen in Lübeck abspielten: Bei einer Massenschlägerei traten Männer auf den Kopf eines 19-Jährigen ein, ein weiterer Mann schlug wie von Sinnen mit einem Metall-Mülleimer um sich, ein unbeteiligter Rentner stürzte auf den Gehweg. Zehn Streifenwagen waren im Einsatz. Die Täter sollen zum großen Teil einen Migrationshintergrund haben.

Den Gewalt-Exzess verschwieg die Polizei der Öffentlichkeit, er war ihr keine Pressemitteilung wert. Die kam erst einen Tag später - nachdem das Video der brutalen Taten viral gegangen war. Und wohl auch nur deshalb.

In der Meldung heißt es: "Die Polizei mahnt vor der weiteren Verbreitung dieses Videos und fordert dazu auf, das Video von eigenen Geräten umgehend zu löschen und auf keinen Fall weiter zu verbreiten oder zu teilen. Es könnten dadurch Straftatbestände erfüllt werden."

Einer der Täter holt mit einem großen Mülleimer aus, schlägt damit auf andere ein
Foto: privat

Das schrieb die Landespolizei Schleswig-Holstein auf "X" (ehemals Twitter)
Foto: @SH_Polizei/Twitter

In den sozialen Medien sorgt das für Empörung. "Es ist also eine Straftat, Straftäter bei ihren Straftaten zu zeigen? Das ist der Witz des Jahres", schreibt ein Facebook-Nutzer. "Ja, es ist verboten, ein solches Material zu verbreiten. Hier geht es auch um Opferschutz!", bekräftigt die Polizei Schleswig-Holstein. Inzwischen hat sie die Kommentar-Funktion abgeschaltet, lässt keine kritischen Nachfragen mehr zu.

BILD fragte trotzdem nach - bei Polizeisprecher Maik Seidel. Warum soll die Öffentlichkeit das Video nicht sehen dürfen? Seidel: "Wir möchten verhindern, dass unbeteiligte Personen mit einer Gewaltdarstellung konfrontiert werden, die sie nicht sehen möchten. Daher wollen wir die Verbreitung des Videos möglichst eindämmen."

Die Polizei veröffentlichte am Sonnabend auf "X" (ehemals Twitter) diese Warnung zum Augenzeugen-Video
Foto: @SH_Polizei/Twitter

Auf "X" belehrt die Landespolizei Schleswig-Holstein sogar: "Das Video liegt den Ermittlern vor. Das mediale öffentliche Interesse ist reine Sensationsgier und nicht notwendig."

Und weiter: "Es reicht, wenn die richtigen Stellen die Wahrheit sehen und dazu ermitteln. Das gehört nicht in die Öffentlichkeit."

Die Polizei hat nach BILD-Informationen inzwischen einen Krisenstab eingerichtet. Sogar das Innenministerium in Kiel soll alarmiert sein. Nach der Veröffentlichung des Videos wurde von der Polizei eilig eine Ermittlungsgruppe zur Aufklärung der Tat eingerichtet, erfuhr BILD.

Auf den Kopf des am Boden liegenden 19-Jährigen wird eingetreten. Daneben ist ein unbeteiligter Rentner gestürzt
Foto: privat

CDU-Innen-Experte kritisiert Polizei-Vorgehen

Innen-Experte Christoph de Vries (48, CDU): "Die Lübecker Polizei hat hier nicht besonders glücklich agiert. Zunächst wird die gewaltsame Auseinandersetzung der Jugendlichen nicht wie üblich öffentlich kommuniziert, dann wird vor der Verbreitung des Videos gewarnt. Dadurch entsteht der Eindruck, dass die Schlägerei und der Hintergrund der Tatverdächtigen verheimlicht werden soll."

Der Bundestagsabgeordnete weiter: "Ich würde empfehlen, derartige Gewaltexzesse immer offen und transparent zu kommunizieren, so wie es die allermeisten Polizeien in Deutschland auch handhaben."

Innen-Experte Christoph de Vries (48, CDU) bei einer Rede im Bundestag
Foto: picture alliance / Flashpic

Polizei entscheidet nicht, was von öffentlichem Interesse ist

Klare Wort auch vom Chef der deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt (66): "Das ist schon ein sehr seltsames Vorgehen der Behörde und niemand darf sich darüber wundern, wenn jetzt über die Motive spekuliert wird. Was von öffentlichem Interesse ist und was nicht, entscheidet sicher nicht die Polizei."

Wendt weiter: "Vielleicht sollten nicht die schnellen Twitterkünstler über solche Verlautbarungen entscheiden, manchmal ist das offizielle Behördenstatement der bessere Weg, dann kann über die Wirkung der Worte auch von Presseprofis erst einmal nachgedacht werden."

Was war eigentlich der Auslöser der Massenschlägerei?

Bei einer Schulsport-Veranstaltung, dem "Senatsstaffellauf", sollen vier Schüler (16, 19 und zwei unbekannten Alters) grundlos zwei Jungen (14, 17) angegriffen haben.

Anderthalb Stunden später soll es dann zur Rache-Aktion in der Einkaufsstraße gekommen sein. Bei dem am Boden liegenden Jungen, gegen dessen Kopf getreten wurde, handelt es sich um den 19-jährigen Täter vom "Senatsstaffellauf".

Einer der Beteiligten hält einen Schlagstock in der Hand
Foto: privat

Polizeiautos und Rettungswagen stehen am Tatort in der Lübecker Einkaufsstraße
Foto: Holger Kröger

Die Polizei war bei der Massenschlägerei mit zehn Streifenwagen im Einsatz. Es gab jedoch nicht eine einzige Festnahme. Es wurden lediglich die Personalien von fünf Beteiligten (14, 17, 19, 19, 43) festgestellt, Platzverweise für die Innenstadt ausgesprochen.

Die Kopf-Tritte wurden von der Polizei lediglich als gefährliche Körperverletzung gewertet, nicht versuchter Mord.


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